Freitag, 30. Oktober 2009

Für Pipeline fehlt jedes zehnte Stückle

Trotz der drohenden Enteignung verweigern bisher noch fast 600 Landwirte ihre Unterschrift

STUTTGART. Mit der Enteignung unwilliger Stücklesbesitzer will das Land der umstrittenen Ethylen-Pipeline den Weg durch den Südwesten ebnen. Bisher allerdings hat das drohende Wegerechtsgesetz auf die betroffenen Landwirte und Hobbygärtner ausgesprochen wenig Eindruck gemacht. Nach wie vor fehlt für den Bau der Leitung jedes zehnte Grundstück, die Arbeiten an dem 186 Kilometer langen Teilstück durch Baden-Württemberg ruhen.

"Wir arbeiten erst weiter, wenn es sich auch wirklich lohnt. Solange der Bautrupp nicht mindestens 15 Kilometer am Stück verlegen kann, rechnet sich der Aufwand nicht", erklärt Klaus Thiel, Sprecher der Ethylen Pipeline Süd (EPS), den derzeitigen Stillstand. In Bayern hat das von sieben Firmen aus der Petrochemie gebildete Konsortium die Arbeit an der unterirdischen Röhre so gut wie abgeschlossen, bis Jahresende wird die Leitung fertig sein. Auch in Rheinland-Pfalz liegt die Pipeline bereits im Boden, für den 70 Kilometer langen Abschnitt zum Chemiestandort Ludwigshafen war keine einzige Enteignung nötig.

Nur in Baden-Württemberg sträuben sich viele Landwirte weiterhin standhaft gegen den Leitungsbau. Zwar ist durch die Diskussion ums Wegerechtsgesetz laut EPSSprecher Thiel auch im Südwesten "eine gewisse Bewegung in die Verhandlungen gekommen". Eine durchschlagene Wirkung hat die Drohkeule Enteignung aber noch nicht entfaltet - von den nötigen 5600 Unterschriften haben die Pipeline-Planer bisher nur etwa 90 Prozent in der Schublade, vor allem auf der Ostalb und bei Vaihingen an der Enz fehlen noch fast 600 Grundstücke.

Im Sommer hatte die Landesregierung der EPS noch einen baldigen Baubeginn in Aussicht gestellt. Im Kabinett wurde das Wegerechtsgesetz auf den Weg gebracht, nach der Bundestagswahl sollte die rechtliche Grundlage für den Enteignungszwang vom Landtag beschlossen werden. "Aus meiner Sicht kann der Bau der Pipeline noch im Dezember starten", hatte Ministerpräsident Günther Oettinger erklärt.

Die Zeit drängt: Weil die Röhre für das in der Kunststoffindustrie beispielsweise zur Herstellung von Joghurtbechern benötigte Gas nächstes Jahr in Betrieb gehen soll, ist das Land in Zugzwang geraten. Bei 140 der fehlenden Grundstücke soll es sich um "Totalverweigerer" handeln. Einer davon ist der Vaihinger Biobauer Siegfried Setzer. Er befürchtet massive Schäden durch die in ein Meter Tiefe verlegte Leitung. Auf Wiesen bayerischer Berufskollegen wachse kein Grashalm mehr, seit die Bautrupps den Boden mit schwerem Gerät aufgerissen hätten.

Die Landesregierung allerdings sieht die Belastung als "zumutbar" an. Erstens seien Ackerflächen auch nach dem Leitungsbau nutzbar. Und zweitens sollen die Landwirte eine finanzielle Entschädigung erhalten. Tatsächlich wird bei einer Enteignung nur der Verkehrswert des Grundstücks ersetzt - je nach Lage 1,50 bis drei Euro pro Quadratmeter. Einigen sich die Stücklesbesitzer mit der EPS, steigt der Erlös durch gewährte "Beschleunigungszuschläge" auf etwa acht Euro pro Quadratmeter an. In Bayern blieben deshalb nur noch drei Fälle übrig, bei denen enteignet werden musste. In der Region hat die Stadt Vaihingen ihre Klage gegen die Pipeline zurückgezogen. Nachdem sich die EPS auf eine neue Trasse festgelegt hat, kommt auch aus dem Rathaus von Alfdorf (Rems-Murr-Kreis) kein Widerstand mehr.


Stuttgarter Zeitung 19.10.2009

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